Der Untrainierte Sinn

Eigentlich düften Düfte in meinem Leben keine große Rolle spielen. – Weshalb? Weil ich seit meiner Jugend eine Riech“behinderung“ habe. Während verschiedener Untersuchungen in meinem 12. Lebensjahr wurde nebenbei festgestellt, dass ich eine Einschränkung der Geruchswahrnehmung hatte. – Nun ist es relativ normal, dass wir in der Regel mit einem Nasenloch besser riechen können als mit dem anderen (sie wechseln sich sogar über den Tag unbewusst ab), unser Geruchssinn kann aber auch trainiert werden, feiner werden und sich über die Zeit verbessern – auch wenn die Startbedingungen, wie bei mir, nicht ideal sein mögen. So entwickelte sich aus purem Trotz („Riechbehinderung? Na, das wollen wir doch mal sehen!„) eine erhöhte Aufmerksamkeit für Düfte – und damit ein konstantes, wenn auch damals unprofessionelles Training aus Liebe und Sturheit.
Ein solches“Riechtraining“ hat neben der Verbesserung der Riechfähigkeit auch auf das Gehirn hilfreiche Auswirkungen und verbessert die gesamte Gehirnaktivität mitsamt Gedächtnis und Denkleistung, so dass es auch Düfte und ätherische Öle in der Arbeit mit älteren Menschen verwendet werden. Der Verstand ist bei der Wahrnehmung von Düften ein unbeachteter Mitspieler. Informationen über die Duftwahrnehmung werden direkt an das Gehirn weiter geleitet – und zwar das LIMBISCHE SYSTEM und den HIPPOCAMPUS. Dort findet sich alles, das für Gefühle, Instinkte, Erinnerungen und Unbewusstes zuständig ist. Diese Bereiche zu aktivieren und in reger Verwendung zu halten, lässt Erinnerungen lebendig bleiben und vernetzt viele Bereiche unseres Erlebens.
Eine gute Nase lässt sich übrigens nicht unbedingt vererben – vielmehr basiert die Riech-Kompetenz so gut wie vollständig auf Übung und Training, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Die Verbesserung der Riechfähigkeit bringt außerdem einen besseren Geschmackssinn mit sich, da Duft und Geschmack bei der Wahrnehmung eng ineinander greifen.
Wie gut ist denn die eigene Nase?
Man unterscheidet im Groben folgende Duftklassen bei Parfums: zitrusartig (z.B. Grapefruit, Limette), fruchtig (z.B. Pfirsich, Melone), floral (z.B. Rose, Jasmin), orientalisch (z.B. Vanille, Kokos, Tonkabohne), aromatisch (z.B. Lavendel, Thymian, Rosmarin) und holzig (z.B. Sandelholz, Kiefer).
Testet Euch selbst – sucht Euch Düfte aus den entsprechenden Kategorien heraus, schreibt ihre Namen auf den Duftstreifen in der Parfümerie und versucht sie blind – am meisten Spaß macht es zu zweit – voneinander nach den Kategorien zu unterscheiden. Auch die natürlichen Materialien lassen sich wunderschön für so eine Sinnesübung in Weckgläsern anrichten und mit Kindern wie Erwachsenen zu einem Erlebnisspiel machen.
Wie sensibel Eure Nase reagiert, könnt Ihr anhand eines anderen einfachen Tests herausfinden: Nehmt zwei Säfte zur Hand (z.B. Orange oder Apfelsaft): einen reinen 100%igen Saft und ein Fruchtsaftgetränk. Ist es Euch möglich, den reinen Saft vom Fruchtsaftgetränk zu unterscheiden – geruchlich wie geschmacklich? Verdünnt den reinen Saft in einem Verhältnis 1:10 mit stillem Wasser und versucht nur über Eure Nase den reinen – jedoch verdünnten Saft – zu erriechen. Verdünnt nach Gelingen noch einmal im gleichen Verhältnis und falls es Euch weiterhin glückt ihn noch zu riechen, wiederholt bis Ihr ihn nicht mehr wahrnehmen könnt. Je öfter es Euch gelingt den reinen Saft über den Geruch zu identifizieren, desto weniger Duftmoleküle benötigt Eure Nase für die Wahrnehmung und Verarbeitung. – Bei zwei Verdünnungen schafft es in der Regel eine normale Nase.
Eine gute Grundlage
Viel Trinken, regelmäßige Nasenduschen und Nasensprays mit Salz können der Nase eine gute Basis geben. Die Schleimhäute dürfen nämlich nicht zu trocken sein, damit die Duftmoleküle „andocken“ können. Übrigens lieber Finger weg von Speisesalz für selbstgefertigte Mischungen: dieses enthält häufig chemische Zusätze als „Rieselhilfe“.
Dass Rauchen den Geruch- und Geschmackssinn beeinträchtigt, ist kein Geheimnis. Aber bereits 4 Wochen nach der letzten Zigarette haben sich alle Zellen regeneriert und Riechen und Schmecken wird wieder interessanter!
Ein gutes Training
Bereits bei täglichen 10 Minuten bewusstem Riechen, verbessert Ihr nicht nur Euren Geruchssinn, sondern auch die Gehirnleistung. Zeigt Eurem Gehirn neue Gerüche und folgt den Erinnerungen, wenn Ihr an etwas bekanntem schnuppert. Das können ganz alltägliche Dinge sein: Kaffee, die von der Sonne aufgeheizte Holzbank im sommerlichen Garten oder auch das Hemd Eures/r Liebsten. Natürlich können auch neutrale bis unangenehme Düfte dafür herhalten, geben dabei jedoch nicht ganz so viel Freude.
Schnappt Euch die Kräuter und Gewürze aus Eurer Küche und schnuppert blind an ihnen, versucht sie täglich zu identifizieren und zu lernen. Wenn es Euch gelingt den Duft in Gedanken oder Worten ausführlich zu beschreiben, wirkt das Training besonders gut. Wie riecht den Basilikum …? Weich, grün, süßlich? Was könnt Ihr wahrnehmen und wie würdet Ihr es nennen?
Bemerkt den Duft der Räume, in die Ihr tretet… wonach riechen Sie? Woran erinnert Euch der Geruch oder könnt Ihr sogar identifizieren, welche Duftquelle dem Raum seinen Duft-Fingerabdruck gibt? Unternehmt Riech-Spaziergänge, – ob in alltäglichem oder ausgewähltem Kontext.
Besonders empfehlen kann ich auch die immer beliebter werdenden Dunkel-Restaurants, bei denen man – bedient von blinden Kellnern – ohne Licht in völliger Finsternis sein Essen zu sich nimmt und sich ganz auf seinen Geschmacks- und Geruchssinn verlassen muss.
Diesen Sinn steigern zu lernen ist eine belebende Bereicherung, die Genussfähigkeit, Gehirnaktivität und Erleben fördert. Sobald man sich einmal mit Düften beschäftigt hat, öffnet sich eine interessante Tür, die sehr individuell ist. Die Duft-Fähigkeit wird übrigens zwar nicht vererbt, doch der eigene Körperduft und die Geruchsvorliebe sind eine Frage der Gene. Es ist immer eine gute Möglichkeit sich seine „Geschwister-Nase“ zu suchen, um auf interessante Parfumvorschläge zu stoßen, die meistens auch Euch gefallen werden.
Einer der Düfte, die mir am meisten bedeuten, ist der Duft
des ersten Herbsttages im Jahr… nach Feuchtigkeit, Erde
und Wind… Welcher Duft bedeutet Euch etwas?
Hallo! Ich habe mich schon sehr auf den Beitrag von Flo gefreut, da mich das Thema Gerüche nicht mehr loslässt und ich seit meinem Studium sehr vielseitig damit zu tun habe. Besonders spannend finde ich es, wie Gerüche in der Literatur umgesetzt werden und zusammen mit dem Autor die Erinnerungen durch Düfte entdeckt werden. Oft sind es aber auch die Düfte, die eine Aktion oder Handlung in einer Erzählung veranlassen oder den Leser bereits „optisch“ darauf vorbereiten.
Die Idee die Nase zu trainieren gefällt mir, wobei ich zum Glück mit einer sehr feinsinnigen Duftwahrnehmung gesegnet bin.
Liebe Grüße, H.